Autor: AS Histo Journal

Cora Stephan: Margos Töchter

Cora Stephan – »Margos Töchter« – Jeder Mensch hat eine Mutter. Jana Seliger hatte zwei. Wer ist diese Margo überhaupt um deren Töchter es in diesem Roman geht? Die Leserinnen von »Ab heute heiße ich Margo« wissen es bereits. Die übrigen aber sollten sie kennenlernen. Allerdings mindert die Unkenntnis nicht den Genuss, den die Lektüre von »Margos Töchter« bereitet. Auch diesmal widmet sich Cora Stephan wieder einem Kapitel deutsch-deutscher Geschichte, dem zwischen deutschem Herbst und Mauerfall, und dessen Auswirkungen bis heute. Zwei Frauen, Leonore und Clara, sind die Hauptfiguren. Doch nein, eigentlich sind drei Frauen die Protagonisten dieses Romans, denn Schlüsselfigur ist Jana, Leonores Adoptivtochter. Sie zweifelt an dem angeblichen Selbstmord ihrer Adoptivmutter, die vor Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist. Der Vorfall lässt sie nicht los, und sie beginnt über die Umstände von Leonores Tod nachzuforschen. Die Geschichte nimmt ihren Anfang mit einem Antrag auf Akteneinsicht in Unterlagen des Ministerium für Staatssicherheit (MfS), den Jana gestellt hatte, um mehr über ihre Adoptivmutter Leonore Seliger zu erfahren. Und über ihre leibliche Mutter Clara. …

Ulf Schiewe: Der Attentäter

Ulf Schiewe – »Der Attentäter« – Ulf Schiewes neuer historischer Thriller widmet sich dem Ereignis, das die damalige Welt aus den Fugen bringen sollte. Packend und bis zur letzen Seite bravourös erzählt. Doch der Reihe nach …  »Der österreichische Thronfolger und seine Gattin ermordet.« So titelte die Vossische Zeitung am 28. Juni 1914. Der Korrespondent hatte diese Nachricht per Telegramm an seine Zeitung geschickt, die daraufhin umgehend ein Extrablatt herausbrachte. Die Ermordung des Thronfolgers und seiner Gattin verschärften daraufhin die Situation auf dem Balkan und führten wenige Wochen später in das hinein, was die Zeitgenossen als Weltenbrand bezeichneten. Die politische Situation, die zum Ersten Weltkrieg führte, ist komplex. Seit 1912 hatten die Zeitgenossen mit einer Krise auf dem Balkan gerechnet. Staaten wie Frankreich und Russland hatten sich vorab – im Falle eines Casus Belli – abgesichert. Das Attentat auf den österreichischen Thronfolger evozierte einen Handlungsablauf, dessen Script wenige Jahre zuvor niedergeschrieben worden war. Die Katastrophe nimmt ihren Lauf …  Es gibt Attentate, die in unserem kollektiven Gedächtnis mit Personen verbunden sind. Das auf Präsident Kennedy …

Filmkritik: Intrige

Intrige Paris, am Ende des 19. Jahrhunderts: Der französische Artillerie-Hauptmann Alfred Dreyfus {Louis Garrel} ist vielen ein Dorn im Auge, denn er ist Jude, der einzige im gesamten französischen Generalstab. Am 22. Dezember 1884 erreichen seine Gegner ihr Ziel: Weil er Militärgeheimnisse verraten haben soll, wird Dreyfus wegen Landesverrat von einem nicht-öffentlichen Militärgericht zu lebenslanger Haft verurteilt und auf die sogenannte Teufelsinsel vor der Küste von Französisch-Guayana verbannt. Als Cineast freut man sich immer, wenn ein Film kontrovers diskutiert wird. Bei »Intrige« geht es in der Diskussion aber weniger um den Film, seinen Inhalt oder seine Machart: Es geht um den Regisseur Roman Polanski. Gegen ihn stehen immer noch Vorwürfe der Vergewaltigung im Raum und als Antwort darauf macht er einen Film, in dem ein Mann zu Unrecht eines Verbrechens beschuldigt wird aus keinem anderen Grund, als dass er Jude ist. Und in Interviews macht Polanski keinen Hehl daraus, dass er eine Parallele sieht zwischen sich und Alfred Dreyfus, der 1895 bezichtigt wird, Hochverrat an seinem Heimatland Frankreich begangen zu haben. Wird hier nach einem …

Angela Steidele – Poetik der Biographie

Angela Steidele – »Poetik der Biographie« – Vor kurzem gab es eine amüsante Aufregung im Netz: Erste Auszüge aus einer Biografie über den österreichischen Ex-Kanzler Sebastian Kurz waren publik geworden, und es hagelte Hashtags wie »50 Shades of Kurz«, denn die Biografin Judith Grohmann hatte sich scheinbar von der Erotik der Macht inspirieren lassen, und darüber hinaus bedient sie sich einer Sprache auf Groschenroman-Niveau. Der Vergleich zum Hausfrauen-Porno lag da auf der Hand. Die Netz-Häme ist dabei nicht nur ein Kommentar zum politischen Geschehen in der Alpenrepublik, sie zeigt auch, welcher populärer Konsens über die Gattung der Biografie herrscht. Erstens muss man sich eine Biografie verdienen. Auch die Schreckensgestalten der Geschichte haben ihre Biografen gefunden – vermutlich sind sie zahlenmäßig stärker vertreten als die vorbildlichen Charaktere – aber in der öffentlichen Wahrnehmung ist eine Biografie lebender Zeitgenossen zunächst mal eine Auszeichnung. Biografie und historische Größe gehören zusammen. Eine Auszeichnung, die Sebastian Kurz von vielen nicht zugestanden wird. Zweitens darf man eine Biografie nicht selbst lancieren. Zwar ist es längst allgemein bekannt, dass Prominente Ghostwriter an …

Filmkritik: Once Upon A Time in … Hollywood

»Once Upon A Time in … Hollywood« – Bevor der Film anlief, habe ich von einigen gehört: »Ich mag Tarantino-Filme nicht«, und das ist ein Lob. Es heißt nämlich, dass Tarantino-Filme sich von allen anderen immer erkennbar unterscheiden, dass sie eine »Handschrift« haben. Zu sagen, dass diese Handschrift vor allem in Gewalt besteht, wäre zu ungenau: In allen Hollywood-Action-Filmen ist Gewalt das tragende Element. Es geht bei Tarantino um eine Gewalt, die unverhältnismäßig ist, die zunächst eine korrektive Funktion zu haben scheint und dann ins Exzess mündet und das Bündnis zwischen Zuschauern und Held oder Heldin in Frage stellt oder sogar unmöglich macht, denn solche Gewalt setzt Mitleidlosigkeit voraus. Die Manson-Morde scheinen daher als Thema eine Unabdingbarkeit in Tarantinos Filmografie zu sein. Der Mann, nach dem die Morde benannt wurden, Charles Manson, war bei der Tat nicht anwesend. Mitglieder seiner »Familie« – eine Hippie-Kommune – drangen im August 1969 in das Anwesen von Roman Polanski ein, ermordeten seine hochschwangere Frau Sharon Tate und vier weitere Personen mitleidlos, bestialisch, scheinbar ohne Motiv. Mit den Manson-Morden endete …

Brigitte Glaser – Rheinblick {Hörbuch}

Brigitte Glaser – »Rheinblick« – Genau an diesem Punkt, Brandts Sprachlosigkeit, setzt Glaser in ihrem Roman an. Sie rückt jedoch nicht Brandt in den Fokus, sondern drei Frauen, deren jeweiliges Schicksal mit der Bonner Politik auf das Engste verknüpft ist. Wie schon in »Bühlerhöhe« erweist sich Glaser als feinfühlige und subtile Erzählerin. Hilde gehört der ›Rheinblick‹. Als Mann wäre sie in ihren ›besten Jahren‹: Die Vierzig knapp überschritten, autonom, weil berufstätig, Witwe, attraktiv, verschwiegen, loyal. Nur ihr Privatleben, insbesondere den Traum eines erfüllten Liebeslebens, hat sie frühzeitig an den Nagel gehängt. Ihrem verstorbenen Mann, ein guter Kerl, wie selbst findet, hätte sie eigentlich treu sein müssen. Aber die Gefühle für einen anderen Mann, einem, der ihre Leidenschaft weckte, funkte dazwischen. Ein kurzes Aufflackern davon, wie Leben sein kann. Vorbei. Jetzt lebt sie für den ›Rheinblick‹, der ihr Lebenswerk ist. Hier trifft sich alles was in der Bonner Politik einen Namen hat – oder zu einem werden möchte. In ihrem Lokal geben sich die Politiker jeder Couleur und deren Gefolge die Klinke in die Hand. Es …

Brigitte Glaser – Rheinblick

Brigitte Glaser »Rheinblick« – 1972 – Anfang der 70er Jahre – die Adenauerzeit ist vorbei und den direkten Folgen des Zweiten Weltkrieges – erscheint endlich ein Hoffnungsschimmer am politischen Horizont. Der Hoffnungsträger kommt von der SPD und heißt Willy Brandt. Und der will nach dem CDU-Kanzler eine völlig neue Politik wagen. 1972 ist das Jahr der Willy-Wählen-Kampagne, die mit Willy Brandts überraschenden Wahlsieg endete. Seinen kometenhaften Sieg hat Brandt vor allem den Frauen und Jungwählern zu verdanken. Annäherung anstelle von Konfrontation war der Grundgedanke seiner Politik. Am deutlichsten zeigte er seine Einstellung sicherlich 1970 durch den Kniefall im Warschauer Ghetto, anlässlich der Verhandlungen der Warschauer Verträge. In der deutschen Bevölkerung erwacht ein neuer Geist. Während die Generation der Eltern noch in den Zwängen und Erziehungsmodellen der Nazi-Zeit verhaftet ist, beginnt die Revolte und der Aufbruch der Jugend. Gerade sie erhofft sich durch Willy Brandt einen Erneuerer und ist bestrebt, sich aus dem noch spürbaren Nazi-Sumpf zu befreien. Hier entsteht ein völlig anderes Lebensmodell: Wer etwas auf sich hält, lebt in einer WG, studiert der Form …

Babel – Kenah Cusanit

Kenah Cusanit »Babel« – Es sind gerade einmal ein oder zwei Stunden, die der Roman Babel beschreibt und doch umfassen sie nicht weniger als die Entstehung der abendländischen Kultur. Wir schreiben das Jahr 1913, der Erste Weltkrieg wirft seine Schatten voraus, spürbar auch im Orient. In Bagdad gräbt Robert Koldewey Babylon aus. Die alttestamentarische Stadt, bekannt durch den Turmbau zu Babel, das ehrgeizige Projekt, das Gott mit der Sprachverwirrung bestrafte. Robert Koldewey leitet die Ausgrabungen im nahen Osten. Nicht nur Babylon, auch die Grabung im nördlich gelegenen Assur steht unter seiner Leitung. Dort arbeitet Walter Andrae, der ehemalige Assistent Koldeweys in Babylon. Und angesichts der zweifelhaften Kompetenz seines neuen Assistenten Buddensieg trauert Koldewey Andrae hinterher. Nicht nur unter ihm leidet Koldewey, vielmehr macht ihm sein Blinddarm zu schaffen, der ihn auf sein Lager zwingt. Für die Dauer einer Pfeife oder zwei, liegt er still auf seinem Sofa mit Blick über die Grabung und lässt Blicke und Gedanken schweifen. Und diesen schweifenden Gedanken folgt der Leser willig auf den verschlungenen Pfaden der Assoziationen. Soll Koldewey sich …

Römisches Fieber – Christian Schnalke

Römisches Fieber. Mama Miracoli wird’s freuen – Ein braver aber benachteiligter junger Dichter nimmt die Identität eines anderen an und wird so Teil der Künstlerszene in Rom am Beginn des 19. Jahrhunderts. Der Identitätsdiebstahl war schon für Patricia Highsmith, Daphne de Maurier und viele andere eine dankbare Vorlage für Geschichten, in denen die Protagonisten dazu gezwungen waren, darüber nachzudenken, was die Identität eines Menschen ausmacht. Die Summe seiner biografischen Daten? Seine Leistungen? Der Blick der anderen? Und es gibt wohl kaum einen Menschen, der sich nicht schon einmal vorgestellt hat, über Nacht die Identität einer anderen Person anzunehmen, sein Lebenskonto noch einmal auf Null zustellen oder eben herauszufinden, ob das überhaupt möglich ist und wie man es wohl anfangen würde, wenn man diese Gelegenheit bekommt {oder sie sich nimmt}. Von solchen Fragen an die menschliche Existenz findet sich nichts in »Römisches Fieber«, zum Glück, werden manche sagen, schade und verschenkt, denken andere. Ich gehöre zu letzteren. Es ist immer bedauerlich, wenn man Fragen an einen Roman hat, die dieser nicht beantwortet. Stattdessen folge ich also …

Norman Ohler – Die Gleichung des Lebens

Norman Ohler – »Die Gleichung des Lebens« – Eulers Leben in Berlin könnte so schön sein, wären da nicht die exponierten Gestaltungswünsche Friedrichs des Großen. Letzterer beschließt im Sommer des Jahres 1747 einen alten Plan seines Vaters in die Tat umzusetzen. Am Geld – hier erhebt sich der Sohn über den mächtigen Vater – soll es dieses Mal nicht scheitern. Wo wendische Fischer (tendenziell aufsässig und insgesamt abergläubisch, von Vorahnungen und dergleichen beseelt) seit vielen Jahrzehnten leben und ihrem Handwerk nachgehen, dort soll, das ist Friedrichs dringlichster Wunsch, nun Ackerland für den Erdapfel entstehen. Ein kühner Plan, denn im Oderbruch soll es nicht länger um den Fischfang, sondern um die Kartoffelernte gehen. Er hatte also Großes im Blick, anno 1747; vor allem die Mehrung seines Ruhmes. Er wollte Andersgläubige und Flüchtlinge aus dem Süden im trockengelegten Oderbruch ansiedeln, winkte mit Steuererleichterungen und mehr. Letztlich bedeuten mehr Einwohner eines Landes, mehr Soldaten, fand Friedrich. Und Soldaten brauchte er sowieso. Überschwemmungen hatte es in diesem Bereich immer gegeben und die ›Ureinwohner‹ des Landstriches konnten damit {und mit …