Autor: AS Histo Journal

Die Spionin

Paulo Coelho »Die Spionin« – Mata Hari – eigentlich Margaretha Gertrud Zelle – hat schon oft die Phantasie der Menschen angeregt, und damit verdiente sie auch ihr Geld: In selbst entworfenen Tänzen, denen sie ein hinduistisches Erbe andichtete, entblätterte sie sich und das zu einer Zeit, als ein entblößter Frauenknöchel schon als zu anzüglich galt. So kommt Coelho auch zu der Aussage, dass ihre Hinrichtung nicht aus ihren sporadischen Spionage-Tätigkeiten folgte, sondern aus dem Umstand, dass sie als Frau selbstbewusst mit ihrer Erotik umging: »Verurteilt wurde ich nicht wegen Verbrechen, die ich tatsächlich begangen habe – und deren größtes es war, in einer von Männern beherrschten Welt eine emanzipierte, unabhängige Frau zu sein.« {22} Er lässt Mata Hari in seinem Buch selbst zu Wort kommen, in einem fingierten Brief an ihren Anwalt. Und dieses Konstrukt trägt nicht: Ein Mensch, dem die Hinrichtung droht, würde sich darauf konzentrieren, die bestehenden Vorwürfe zu entkräften. Seine Mata Hari aber plaudert über ihre Lebensstationen. Dabei scheint Margaretha zunächst gar kein eigenes Leben zu haben: Sie ist das Opfer männlicher …

Grimms Albtraum

Esther Grau »Grimms Albtraum« – Einst brachte sie wohl mit ihren wenig damenhaften Sticheleien Wilhelm Grimm um den Schlaf, sein Albtraum ist in einem Brief dokumentiert. Von daher rührt der Titel des Romans: Grimms Albtraum. Er steht wohl für den sperrigen Charakter der Hauptfigur, der vermutlich bedeutendsten deutschen Dichterin des Biedermeiers, Annette von Droste-Hülshoff. Auch ich wurde in der Schule mit der »Judenbuche« traktiert, zudem sicher auch mit dem ein oder anderen Gedicht der adligen Dame aus dem Münsterland, an das ich mich nicht mehr erinnere. Bis in den Tatort aus Münster hat es die Dichterin aus Hülshoff geschafft. In der Folge »Der dunkle Fleck« ist »Der Knabe im Moor« zu hören, »Die tote Lerche« wird in einer nächtlichen Friedhofsszene der Tatort-Folge »Ruhe sanft« aus dem Jahr 2007 vorgetragen. Vielmehr wusste ich eigentlich nicht über sie. Mit der Lektüre dieses nicht nur unterhaltsamen, sondern auch bereichernden Buches hat sich dieser Umstand erfreulich geändert. Und es zeigte sich: Diese mir bislang unbekannte Annette war eine ganz erstaunliche Frau. Es beginnt im Januar 1797, gerade jetzt also …

Historisches auf der Leinwand

Auch bei uns gibt es ihn: Den Jahresrückblick, der aber auch ein Ausblick ist. Was brachte 2016 an historischen Themen auf der Leinwand? Und was kommt nächstes Jahr in die Kinos? – Malen, singen, forschen und für politische Gleichberechtigung kämpfen: Das zurück liegende Kinojahr war in historischer Dimension geprägt von Frauen, die sich nicht den Normen ihrer Zeit unterworfen haben. Paula Modersohn-Becker malt sich ihre Lebenslust vom Leib, ▹ Marie Curie schlägt sich als allein erziehende Nobelpreisträgerin durch, Florence Foster Jenkins kann es sich {finanziell} leisten, keinen Ton zu treffen und Emmeline Pankhurst trotzt in »Suffragetten« der Staatsgewalt das Frauenwahlrecht ab. Unsere Redakteurin Ilka Stitz war nach dem Kinobesuch begeistert: »Gestern im Film »Suffragette« gewesen! Hinreißend! Jeder sollte ihn gesehen haben, damit er weiß, dass es so nie wieder sein darf.« Anders als männliche Protagonisten müssen diese Heldinnen nicht darauf warten, dass sich ihnen eine Schwierigkeit in den Weg stellt: Sie haben ein Problem allein dadurch, dass sie Frauen sind. Man lässt sie nicht, wie sie wollen, und weil sie es trotzdem getan haben, dürfen …

Tod am Semmering

Beate Maly »Tod am Semmering« – Es ist immer eine Freude, wenn allein der Anblick eines Buches bereits entzückt. Noch viel schöner ist es natürlich, wenn der Inhalt den dadurch geweckten Erwartungen entspricht. Der Roman der Österreicherin Beate Maly, »Tod am Semmering« spielt 1922, wie der Name verheißt, am Semmering. Es ist die Zeit des Jugendstils, und das vermittelt das Cover des Buches schon auf den ersten Blick. Und passend dazu führt uns die Autorin in das Luxushotel Panhans am Semmering – für den unkundigen Leser wird im Anhang erklärt, wo sich dieser befindet – und fühlt sich sogleich versetzt in die zwanziger Jahre, mit Zigarettenspitzen und Fransenkleidern. Ein Tangokurs lockte die noble Gesellschaft in das feine Hotel, das heutigentags in einer halben Stunde von Wien aus per Zug zu erreichen ist, seinerzeit jedoch dauerte es dreimal so lange. Die Bankierswitwe Rosalia Schwarz hat den Kurs organisiert, dessen Erlös einer Wohltätigkeitseinrichtung zugutekommen soll, die Kriegswaisen unterstützt. Angesichts des hochkarätigen … ▹ Buchbesprechung lesen!

Die Abtei der hundert Sünden

Marcello Simoni »Die Abtei der hundert Sünden« – Auf einer Lesung während der Crime Cologne stellte der Autor seinen Roman vor. Und es sei vorweg gesagt, dass, wenn man beabsichtigt, den vorgestellten Roman zu lesen, sollte man auf den Besuch einer Lesung mit Marcello Simoni verzichten. Der Autor erzählt sehr bereitwillig über die Handlung, seine Personen, deren Charaktere – dass man das Buch eigentlich nicht mehr lesen muss, auch wenn Simoni das die Trilogie tragende Geheimnis dann doch verschweigt. Und dieses Geheimnis bleibt auch am Ende des Romans geheim. Denn »Die Abtei der hundert Sünden« ist das erste Buch einer als Trilogie geplanten Reihe um den Ritter Maynard de Rocheblanche und dessen Schwester Eudeline. Die Schlacht von Crécy bildet einen schrecklichen Höhepunkt des Hundertjährigen Krieges, in dem sich England und Frankreich gegenüberstanden. In dieser Schlacht wurden die Franzosen vernichtend geschlagen, unter den Besiegten ist auch der Ritter Maynard de Rocheblanche. Noch auf dem Schlachtfeld stößt er auf einen sterbenden Edlen. Es ist Jang de Blannen, der König Johann von Böhmen. Dieser bittet ihn um einen …

Hörbuch Rezension: Bühlerhöhe von Brigitte Glaser

Hörbücher Rezension: »Bühlerhöhe« – Nach vielen Jahren kehrt die Jüdin Rosa Silbermann als Agentin des Mossads ins Land der Schlächter zurück. Ihr Auftrag ist so einfach wie kompliziert. Als Ehefrau des Agenten Ari Goldstein getarnt, soll sie ein geplantes Attentat auf den deutschen Bundeskanzler Adenauer verhindern. Dabei ist weniger ihr Geschick als Agentin gefragt, sie ist nämlich keine, sondern ihre profunden Ortskenntnisse. Vor der Machtübernahme der Nazis mitsamt ihrer begeisterten Anhängerschaft verbrachte sie als Kind mehrfach mit ihren Eltern und Geschwistern unbeschwerte Ferien im Schwarzwald. Ab und an auch mit ihrem Großvater, der im Nobelhotel Bühlerhöhe logierte. Rosas Erinnerung an diese Urlaube sind lebendig und so ist ihre Furcht vor diesem Ort verständlich. Denn auch wenn sich Rosa und ihre Schwestern retten konnten, anderen war dies nicht gelungen. Jetzt, nur sieben Jahre nach Ende des Krieges, zurück nach Deutschland zu reisen und dort womöglich noch mit Menschen verkehren zu müssen, die den Schlächtern zuvor in die Hände spielten – das ist ein emotionaler Drahtseilakt. Das Fokussieren auf den Auftrag – Adenauer retten, um das Luxemburger …

Interview mit Annis Bell

Histo Journal Interview: Annis Bell über »Die schwarze Orchidee« Wer die historischen Kriminalromane von Annis Bell kennt, der weiß: Mit Lady Jane auf Verbrecherjagd zu gehen verspricht spannendes Kopfkino voller Ironie, Witz und Charme. In unserem Adventsrätsel 2016 verlosen wir deshalb gemeinsam mit der Autorin gleich 3 Exemplare des neuen Falles der unkonventionellen Lady, die den Schurken der Viktorianischen Zeit das Fürchten lehrt! – Im aktuellen Interview verrät die Autorin Neues über den dritten Fall, der Lady Jane ins winterliche St. Petersburg führt … Histo Journal: Das Manuskript zum neuen Lady Jane Roman ist fertig, lässt du deine Leser via Twitter wissen. Worum geht es im dritten Fall der unkonventionellen Lady? Annis Bell: 1861 – in London wird ein russischer Attaché ermordet und die berühmten Orlov Diamanten gestohlen. Lady Jane und Captain David Wescott, die kurz vor ihrer Abreise nach Indien stehen, müssen die Koffer wieder auspacken, denn Levi Atalay, Wescotts tscherkessischer Diener, wird der Mittäterschaft verdächtigt und inhaftiert. Jane und David erfahren, dass Levi und auch der junge Josiah regelmäßig im Haus des Exilrussen …

Filmkritik: Marie Curie

»Marie Curie« – Der Film beginnt mit dem Gebären, als wäre dies das Wichtigste, was es über Marie Curie zu sagen gibt, auch wenn die Wehen, wenig gewöhnlich, zwischen Laborgeräten einsetzen. Wochenbett, Familienglück, die innige Beziehung zu Pierre Curie, das sind die Szenen in der ersten viertel Stunde des Films, als sollte erst gar kein Unbehagen mit dem außergewöhnlichen Genie Curies aufkommen. Der Nobelpreis, den sie zusammen mit Pierre erhalten hat, wird eher nebenbei erwähnt. Die eigentliche Geschichte des Films beginnt mit dem Unfalltod Pierres: Von da an ist Marie als Mutter und Forscherin auf sich allein gestellt. Der Film versucht sich nun darin, die entstehende Doppel- und Dreifachbelastung zur Grundlage seiner Heldinnen-Geschichte zu machen: Da müssen Kindern gestreichelt und unterrichtet werden, da muss der erkrankte Schwiegervater gepflegt werden, da ist die Sehnsucht nach Zärtlichkeit und die unverarbeitete Trauer und natürlich ist da der Rollenkonflikt, die »gläserne Decke«, die ihren beruflichen Aufstieg schwierig macht. All dies sind Elemente, in denen sich die moderne Zuschauerin … ▹ Filmkritik lesen Foto: ©NFP {Filmwelt}

Der Taubentunnel

»Ich bin zum Lügen geboren …« – Der Taubentunnel – Geschichten aus meinem Leben, so heißt das Buch mit den Erinnerungen John le Carrés. Es ist ausdrücklich keine Biographie, die der sicherlich berühmteste Autor von Agentenromanen aus der Zeit des Kalten Krieges geschrieben hat. Ein seltsamer Titel, »Der Taubentunnel« – aber so lautete der Arbeitstitel fast aller seiner Romane, verrät le Carré gleich zu Beginn. Wenn man weiß, was er bedeutet, leuchtet ein, dass dies ein für all seine Romane treffender Titel ist. Im Taubentunnel erzählt le Carré nun Geschichten aus seiner Erinnerung, und fragt sich {und den Leser} sogleich, »was ist für einen Schriftsteller an seinem Lebensabend … denn Wahrheit, was Erinnerung?« Und er gibt auch sogleich die Antwort: »Für den Schriftsteller sind Fakten das Rohmaterial, nicht sein Lehrmeister, sondern sein Instrument, und seine Aufgabe besteht darin, dieses Instrument zum Klingen zu bringen.« {S. 15} Also folgen wir John le Carré durch die Windungen seiner Erinnerungen. Es ist wie ein Abend am Kamin, bei einem guten Glas Rotwein und einer Zigarre, an dem ein …

Engel der Themse

Wenn der Nebel durch Londons Gassen kriecht … – Es ist das Jahr 1864 als eine Reihe von Kindesentführungen London in Unruhe versetzt. Doch nein, nicht alle in der Stadt sind in Angst versetzt, sind es doch nur die Armen, die den Verlust ihrer Kinder verschmerzen müssen. Es heißt, der „Schatten“ hole sie. Hilflosigkeit herrscht allenthalben, denn was kann man gegen einen Schatten schon ausrichten? Die Polizei schaut tatenlos zu, verschwundene Kinder von Säuferinnen und Huren sind offenbar die Mühe nicht wert. Das muss auch die junge Gladys erfahren, deren neugeborener Bruder ebenfalls ein Opfer des „Schattens“ wird. Nur für eine Minute ließ das Mädchen ihn aus den Augen, während sie vor der Tür eines Lokals auf ihre Mutter wartete, eine Unaufmerksamkeit, die sie bitter bereut … Kurz & Knapp lesen