Histo Journal Buchbesprechung: Sabine Trinkaus »Henriette – Ärztin gegen alle Widerstände«
Gelesen & Notiert von Ilka Stitz
Inhalt
Als Henriette 1834 auf Sylt das Licht der Welt erblickt, scheint ihr ein Dasein im Schatten eines Mannes vorbestimmt. Allerdings steckt sie ihre Nase in Romane und lernt heimlich Latein, statt sich auf ihre hausfraulichen Pflichten vorzubereiten. Weil ihre Familie in Not gerät, fügt sie sich in die Ehe mit einem reichen Gutserben, der sich als gewalttätiger Trinker entpuppt. Mittellos flieht sie nach Berlin. In der pulsierenden Metropole nimmt die beharrliche Henriette ihr Schicksal selbst in die Hand: Sie will nach Amerika, um Zahnärztin zu werden!
Weitere Informationen finden Sie auf der Website des Gmeiner Verlags.
Paperback, Gmeiner Verlag
446 Seiten
ISBN: 978-3-8392-0699-7
Buch 16,– € / E-Book 9,99 €
Mit diesem Roman betritt die Krimiautorin Sabine Trinkaus das Feld des historischen Romans. Ihr Thema ist die bewegten Lebensgeschichte der Henriette Hirschfeld-Tiburtius: Der ersten niedergelassenen Zahnärztin in Deutschland.
Heutzutage scheint es so selbstverständlich, als wäre es immer so gewesen. Mädchen gehen zur Schule, studieren und entscheiden sich für einen Beruf. Sie verdienen ihr eigenes Geld und können ihr Leben frei gestalten. Das war jedoch nicht immer so. Blickt man in die Vergangenheit zurück, sieht man sich mit einer völlig anderen Situation konfrontiert. Noch im 19. Jahrhundert galten Frauen als Geschöpfe, deren Lebenszweck sich allein auf die Kinderaufzucht und die Organisation des häuslichen Lebens beschränkt. Philosophen wie Arthur Schopenhauer sehen sie als kindisch, läppisch und kurzsichtig, als Wesen zwischen »dem Kind und dem Manne, welcher der eigentliche Mensch ist«.
In diese Welt wird Henriette Hirschfeld 1834 hineingeboren. Aber schon von klein auf zeigt sich, dass sie zu mehr berufen ist. Sie liest Romane, lernt mithilfe ihres Bruders Latein. Doch als junge Frau zeigt sich, dass sie das nicht vor dem Frauen vorbestimmten Weg bewahrt. Daher ist der Titel »gegen alle Widerstände« treffend gewählt, denn die Widerstände, mit denen Henriette konfrontiert wird, sind zahlreich und scheinbar unüberwindlich.
Wenigstens ist Henriette nicht allein. Sie wächst in einer liebevollen Familie auf, ihre Freundin Friederike ist stets an ihrer Seite. Die Freundschaft zwischen diesen beiden Mädchen, die unterschiedlicher nicht sein können, soll ein Leben lang halten.
Während die Freundin Friederike dem vorbestimmten Lebensweg folgt, und das Glück hat, in einer Ehe nicht nur eine Versorgung, sondern auch Zuneigung zu finden, erlebt Henriette die Hölle. Wie es sich gehört, und auch um ihre in eine Notlage geratene Familie zu unterstützen, schickt sie sich in die Hochzeit mit dem Erben eines Gutshofes. Der erweist sich schnell als haltloser Trunkenbold. Trotz aller Anstrengungen der klugen und umsichtigen Henriette, wirtschaftet ihr Mann den Hof an den Rand des Ruins. Sie verlässt ihn, lässt sich scheiden und strandet völlig mittellos bei ihrer Freundin Friederike in Berlin, wo sie ihren Lebensunterhalt als Gesellschaftsdame bestreitet. Auch wenn Friederike mit ihrem Mann Ludwig, einem Bankier, eine gute Partie gemacht hat, will Henriette selbst unabhängig bleiben. Nie wieder will sie sich einem Mann unterordnen müssen und widersetzt sich den Versuchen ihrer Freundin, sie unter die Haube zu bringen. Bestärkung in ihrem Ansinnen findet sie in den Romanen, die sie liest, geschrieben von Frauen, veröffentlicht jedoch unter Männernamen: George Sand, George Eliot, und auch die Schwestern Bronte wählten ein männliches Pseudonym. Sie ist nicht allein in ihrem Bestreben nach Unabhängigkeit, stellt sie fest.
Henriette ist mittlerweile um die dreißig Jahre alt, und dass aus ihr eine Ärztin werden soll, zeichnet sich weit und breit nicht ab. Allein der Gedanke daran scheint völlig absurd, denn Frauen haben keinen Zugang zu höherer Bildung, geschweige denn den Zugang zur Universität. Ein Zeitungsartikel eröffnet ihr schließlich eine unerwartete Perspektive. Sie liest über Elisabeth Blackwell, die in Amerika eine Frauenklinik eröffnete. Auch sie hatte mit erheblichen Widerständen zu kämpfen, hatte dennoch Medizin studiert und eine kleine Praxis eröffnet, aus der sich eine auch von männlichen Kollegen sehr geschätzte Frauenklinik entwickelte. Henriettes Entschluss steht fest: sie will Ärztin werden, und zwar Zahnärztin. Ihr Interesse an Zahnmedizin weckte der Besuch eines in Berlin praktizierenden amerikanischen Zahnarztes, der Henriette von ihren Zahnschmerzen befreite, die sie von klein auf plagten. Die Bekanntschaft mit Dr. Francis Abbot lässt ihren Wunsch erfüllbar scheinen. Sie muss nach Amerika, meint Abbot, nur dort könne sie sich zeitgemäß in der Zahnmedizin ausbilden. Henriette denkt an Elisabeth Blackwell und ihre Frauenklinik, es musste also möglich sein. Natürlich ist der weitere Weg zum Ziel, als Zahnärztin zu wirken, weiterhin sehr steinig. Und Henriette wäre wohl gescheitert, wenn sie außer ihrer Freundin Friederike, die ihren Entschluss mit all ihren Möglichkeiten unterstützt, nicht auch die Unterstützung von Männern gehabt hätte, die wie Francis Abbot, Frauen als gleichwertige Menschen betrachten.
Henriette geht ihren Weg, gegen alle Widerstände, wie es der Romantitel verspricht. Sie kämpft in einer Zeit, in der die Bildung der Frau langsam in den Fokus rückt. Zunächst jedoch sind es noch private Initiativen, Vereine, die sich der Aus- und Fortbildung von Mädchen und Frauen verschreiben. Widerstand dagegen gibt es selbstverständlich aus den Kreisen, die sich in ihrer angestammten Rolle gut eingerichtet haben, natürlich von Männer, aber auch von Frauen. Henriette lernt im Laufe ihres Lebens Vertreter beider Seiten kennen. Ihr Glück ist jedoch die Freundschaft mit Friederike, deren gesellschaftliche Stellung ihr in ihren Salons die Bekanntschaft mit vielen aufgeschlossenen Denkern ihrer Zeit ermöglicht. Unter denen sie auch frühe Frauenrechtlerinnen wie Hedwig Dohm kennenlernt.
Sabine Trinkaus erzählt die Geschichte der ersten Zahnärztin Deutschlands auf zwei Zeitebenen. Wir lernen Henriette als betagte Frau kennen, die am 25. August 1911 auf ihr bewegtes Leben zurückblickt. Somit ist es kein Geheimnis, dass sie ihr Lebensziel erreicht hat und in Berlin als erste Frau erfolgreich eine Zahnarztpraxis btrieb. Wie dies um die Wende zum 20. Jahrhundert gelingen konnte, beschreibt Sabine Trinkaus sehr sensibel, in feiner zeitgemäßer Sprache, ohne altbacken zu wirken. Es ist nicht nur ein unterhaltsames Buch, sondern auch ein wichtiges Buch zum Thema der Entwicklung der Gleichberechtigung der Frau. Es verdeutlicht die allgegenwärtige Geringschätzung alles Weiblichen und welche Ausdauer, Durchsetzungskraft, Energie und Stärke nötig waren, damit ein Traum am Ende wahr werden konnte.
Fazit
Henriette – Ärztin gegen alle Widerstände ist nicht nur ein unterhaltsames Buch über das bewegte Leben einer Frau in einer Männergesellschaft. Eine Frau, die ihr Ziel erst spät erkennt, es aber dann zielstrebig umsetzt, und die erste Zahnärztin Deutschlands wird. Dieses Buch ist auch ein wichtiger Beitrag für die Entwicklung einer Gesellschaft, die auf dem Weg zur Gleichberechtigung der Geschlechter zwar weit fortgeschritten, aber noch längst nicht am Ende angekommen ist. Ein Buch, das nicht trocken daherkommt, sondern einfühlsam und mitreißend die Lebenswirklichkeit einer Frau erzählt, die in ihrem Streben nach Selbstverwirklichung ihrer Zeit weit voraus war.
Zur Autorin
Sabine Trinkaus wuchs im hohen Norden hinter einem Deich auf. Zum Studium verschlug es sie ins Rheinland, wo sie nach internationalen Lehr- und Wanderjahren sesshaft und heimisch wurde. Seit 2007 schreibt sie Kurzgeschichten, Kriminalromane und Thriller, außerdem erschienen Hörspiele und Theaterstücke aus ihrer Feder.
Die beeindruckende Lebensgeschichte von Henriette Hirschfeld-Tiburtius inspirierte sie zu ihrem ersten historischen Roman.